Entlassungen drohen
Trotz Insolvenz können sich Air-Berlin-Mitarbeiter bei Kündigung wehren
Immer dann, wenn ein Unternehmen einen Insolvenzantrag stellt, sind Arbeitnehmer besonders stark betroffen. So nun auch bei Air Berlin. Die Mitarbeiter müssen eine Kündigung aber nicht einfach hinnehmen.
Aktuellen Presseberichten zufolge droht mindestens 1400 Mitarbeitern von Air Berlin die Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse noch bis Ende Oktober 2017. Durch die Einstellung des Flugverkehrs zum 28. Oktober 2017 ist mit weiteren hohen Kündigungszahlen der rund 8000 Mitarbeiter von Air Berlin zu rechnen. Dieses Szenario vermag auch die aktuelle Entwicklung nicht zu verhindern. So wird die Übernahme wesentlicher Unternehmensteile durch die Lufthansa wohl nur einem geringen Teil der Mitarbeiter weiterhelfen.
Wie verhalten sich nun Piloten, Flugbegleiter oder Bodenpersonal, wenn die Kündigung zugeht? Welche Besonderheiten haben Arbeitnehmer bei insolvenzbedingten Kündigungen zu beachten und wie setzen diese ihre Ansprüche nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch? Der nachfolgende Artikel gibt einen ersten Überblick.
Trotz Kündigungsschutz Kündigungen möglich
Alle Mitarbeiter, die länger als sechs Monate bei Air Berlin beschäftigt sind, genießen Kündigungsschutz. Dem Arbeitgeber steht es dennoch frei, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Über die Wirksamkeit einer solchen Kündigung entscheiden allerdings letztlich die Gerichte. Dies jedoch nur dann, wenn der betroffene Arbeitnehmer auch rechtzeitig Kündigungsschutzklage eingereicht hat.
3-monatige Kündigungsfrist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Besondere insolvenzrechtliche Bestimmungen greifen gegenwärtig noch nicht. Sollte jedoch das Insolvenzverfahren über das Vermögen von Air Berlin eröffnet werden, womit wohl zum 1. November 2017 zu rechnen ist, verringert sich bei Kündigungen die Kündigungsfrist – ungeachtet längerer arbeitsvertraglicher oder tarifrechtlicher Kündigungsfristen – wegen § 113 Insolvenzordnung für alle Mitarbeiter auf drei Monate.
So gehen Betroffene am besten vor
Gekündigte Mitarbeiter können sich auch im Insolvenzverfahren gegen eine Kündigung nur mittels Kündigungsschutzklage wehren. Die Kündigungsschutzklage ist beim zuständigen Arbeitsgericht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung einzureichen. Verpasst der Arbeitnehmer diese Frist, ist es zu spät.
Zudem sollte das Kündigungsschreiben unverzüglich nach Erhalt auf etwaige formelle Mängel überprüft werden. Ist die Kündigung zum Beispiel durch eine nicht zur Kündigung berechtigte Person unterzeichnet, ist die Kündigung sofort schriftlich zurückzuweisen. Allein durch eine solche (berechtigte) unverzügliche Zurückweisung lassen sich Kündigungsschutzverfahren gewinnen. Es ist also Eile geboten.
Kündigungsschutzklage auch bei Insolvenz sinnvoll
Eine Kündigungsschutzklage macht stets Sinn, wenn eine Rechtsschutzversicherung für Arbeitsrecht besteht. Hintergrund ist, dass in der ersten arbeitsgerichtlichen Instanz, in der Kündigungsschutzverfahren regelmäßig im Vergleichswege enden, der Arbeitnehmer seine Anwaltskosten kraft Gesetz nicht von der Gegenseite erstattet erhält, sondern diese unabhängig vom Ausgang des Verfahrens stets selbst zu tragen hat. Wenn der Arbeitnehmer nicht rechtsschutzversichert ist, ist das Kostenrisiko mit den Erfolgsaussichten sorgfältig abzuwägen; mitunter wird auf Antrag bei Vorliegen der Voraussetzungen auch Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Vorteile einer Kündigungsschutzklage sind:
- Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist für sich genommen kein gesetzlicher Kündigungsgrund. Auch der Insolvenzverwalter benötigt für die Kündigung dringende betriebliche Gründe, die durch die Arbeitgeberseite/ den Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen sind.
- Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass auch im Insolvenzverfahren eine Sozialauswahl durchgeführt werden muss.
- Es besteht die Chance, eine angemessene Abfindung zu erstreiten.
- Mit der Kündigungsschutzklage können Ansprüche auf Urlaubsabgeltung, Überstundenvergütung, Gratifikationen und nicht zuletzt ein inhaltlich verhandelbares Arbeitszeugnis durchgesetzt werden.
Was ändert sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Air Berlin?
Grundsätzlich tritt im eröffneten Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung ein. Da es sich bei der Insolvenz von Air Berlin um eine sogenannte Eigenverwaltung handelt, bleibt Air Berlin Arbeitgeber und damit insbesondere kündigungs- und weisungsbefugt. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die nach Insolvenzeröffnung entstehen, sind grundsätzlich Masseverbindlichkeiten. Sie sind gemäß den Regelungen der §§ 53 ff. Insolvenzordnung zu befriedigen. Das bedeutet, dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf vollen Gehaltsausgleich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen Air Berlin bzw. den Insolvenzverwalter haben. Auch stellen Vergleiche über Abfindungen in einem Kündigungsschutzprozess, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen werden, Masseschulden dar, die der Insolvenzverwalter sofort auszugleichen hat. Das bedeutet, die Forderung ist nicht in die Insolvenztabelle aufzunehmen und der Arbeitnehmer muss sich nicht auf eine Quote (ca. drei Prozent der Hauptforderung) vertrösten lassen.
Das müssen von Lufthansa übernommene Mitarbeiter beachten
Derzeit gehen die Beteiligten wohl davon aus, dass die Übernahme wesentlicher Anlagewerte von Air Berlin durch Lufthansa keinen Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB darstellt. Damit wären sämtliche mit Air Berlin ursprünglich vereinbarten Vertragsinhalte (Art der Tätigkeit, Höhe Gehalt etc.) und die damit zusammenhängenden rechtlichen Vorteile (Dauer der Kündigungsfrist, Anwartschaften aus betrieblicher Altersvorsorge) für die (ehemaligen) Arbeitnehmer von Air Berlin verloren.
Gegen diese Verluste kann sich der Arbeitnehmer mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht zur Wehr setzen. Die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar. Sollte im Fall Air Berlin gerichtlich festgestellt werden, dass es sich um einen Betriebsübergang gehandelt hat, leben die ursprünglichen Vertragsinhalte wieder auf. Der Arbeitnehmer muss sich nicht auf die neuen zumeist schlechteren Arbeitsbedingungen einlassen.